EuGH – Widerrufsinformationen in Darlehensverträgen von Juni 2010 bis März 2016 europarechtswidrig

Mit Urteil vom 26.03.2020 in der Rechtssache C-66/19 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die von Banken und Sparkassen im Zeitraum von Juni 2010 bis März 2016 verwendeten Widerrufsinformationen den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union nicht entsprechen. Dabei geht es um folgende Widerrufsbelehrung, die in Darlehensverträgen im genannten Zeitraum enthalten war:

 

“Widerrufsrecht

Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E‑Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. …”

 

Konkret beanstandet wurde der so genannte “Kaskadenverweis” auf die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB. Um die genauen Voraussetzungen für den Beginn der Widerrufsfrist zu erfahren, hätte der Verbraucher sich durch mehrere unterschiedliche Gesetzeswerke auf die jeweils weiterverwiesen wird, durcharbeiten müssen. Zu Recht hat der EuGH festgestellt, dass dies nicht dem europarechtlichen Gebot entspricht, die erforderlichen Informationen in klarer und prägnanter Form anzugeben.

Schuld an der mangelhaften Information des Darlehensnehmers sind in diesem Fall aber nicht die Banken und Sparkassen. Vielmehr wurde der konkret verwendete Informationstext durch den deutschen Gesetzgeber vorgegeben. Gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB bestand nämlich die Möglichkeit – nicht die Pflicht – für die Widerrufsinformation das Muster in der Anlage 6 zu Art. 247 EGBGB zu verwenden (ab 13.06.2014 Anlage 7). Dieses Muster enthielt den Text, der nun durch den EuGH beanstandet wurde.

Welche Folgen die europarechtswidrige Widerrufsinformation nun nach sich zieht, wird das Landgericht Saarbrücken (Aktenzeichen 1 O 164/18) im deutschen Ausgangsverfahren zu entscheiden haben. Das Landgericht Saarbrücken hatte die Sache zuvor dem EuGH vorgelegt, um über die Frage der europarechtlichen Vorgaben zu entscheiden. Dabei ist das Landgericht Saarbrücken offensichtlich davon ausgegangen, dass die Entscheidung des EuGH entscheidungserheblich für den konkreten Rechtsstreit in Deutschland ist. Dort ging es um einen im Jahr 2012 mit einer Sparkasse abgeschlossenen Immobiliendarlehensvertrag, welcher von dem Darlehensnehmer im Jahr 2016 widerrufen wurde. Der Darlehensnehmer verlangt nun die Rückabwicklung des Darlehens. Das Landgericht Saarbrücken hat darüber zu entscheiden, ob der Widerruf trotz Ablaufs der eigentlich geltenden 14-tägigen Widerrufsfrist noch möglich war. Die Widerrufsfrist beginnt nämlich nur dann zu laufen, wenn eine ordnungsgemäße Widerrufsinformation erteilt wurde. Die von der Sparkasse verwendete Widerrufsinformation wurde nun durch den EuGH für europarechtswidrig erklärt. Es ist davon auszugehen, dass das Landgericht Saarbrücken deshalb zum Ergebnis kommen wird, dass die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt wurde und der Darlehensnehmer den Vertrag wirksam widerrufen konnte.

Aller Voraussicht nach wird die Entscheidung des EuGH eine gigantische Welle von Darlehenswiderrufen nach sich ziehen. Betroffen sind praktisch alle Darlehensverträge, die nach dem 30.06.2010 bis zum 20.03.2016 abgeschlossen wurden. Dies gilt sowohl für Immobilienkredite, wie auch für allgemeine Privatkredite, wie auch Pkw-Finanzierungen. Der Widerrufsjoker wird neu belebt.

Allerdings dürfte auch schon jetzt klar sein, dass Banken und Sparkassen in Deutschland den Widerruf von Darlehensverträgen, gestützt auf die Entscheidung des EuGH, nicht akzeptieren werden. Sie werden sich darauf berufen, dass die Europarechtswidrigkeit der deutschen Gesetze nicht dazu führen könne, dass Kreditinstitute, welche sich an die deutschen Vorgaben gehalten haben, benachteiligt werden. Welche Auswirkungen die Entscheidung des EuGH in Deutschland letztendlich hat, wird die Rechtsprechung klären müssen. Bis zu einer konkreten Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird diese Frage als offen anzusehen sein.

Betroffenen Darlehensnehmern ist zu empfehlen, möglichst schnell den Darlehenswiderruf zu erklären und ihre Ansprüche erforderlichenfalls gerichtlich einzuklagen. Zu beachten ist dabei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur möglichen Verwirkung des Widerrufsrechts. Danach kann nach langem Zeitablauf und wenn besondere Umstände hinzukommen, die Ausübung des Widerrufsrechts wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. Als besonderes Umstandsmoment kommt insbesondere die vollständige Rückführung des Darlehens in Betracht.

Da Banken und Sparkassen sich aller Voraussicht nach dem Widerruf widersetzen werden, besteht Aussicht auf eine erfolgreiche Durchsetzung wahrscheinlich nur mit anwaltlicher Hilfe. Spezialisierte Rechtsanwälte können die sich aus dem Darlehenswiderruf zugunsten des Darlehensnehmers ergebenden Ansprüche vollumfänglich berechnen und erforderlichenfalls auch gerichtlich durchsetzen. Das Kostenrisiko wird in vielen Fällen von Rechtschutzversicherungen übernommen.

Die Rechtsfolgen des Widerrufs sind für Darlehensnehmer äußerst attraktiv. Zunächst kann man sich von noch laufenden Verträgen mit Zinsbindung vorzeitig lösen und damit von zwischenzeitlich sehr viel niedrigeren Marktzinsen profitieren. Eine Vorfälligkeitsentschädigung fällt nicht an. Zusätzlich bekommt der Darlehensnehmer Geld zurück in Form des sogenanntem Nutzungswertersatzes. Dies bedeutet, dass das Kreditinstitut sämtliche vom Darlehensnehmer geleisteten Zahlungen für den Zeitraum zwischen der Zahlung und dem Widerruf verzinsen muss. Dies gilt allerdings nur für Darlehensverträge, die bis zum 12.06.2014 abgeschlossen wurden. Wenn der Darlehensnehmer Anspruch auf Nutzungsersatz hat, erhält er Zinsen in Höhe von 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (bei Immobilienkrediten) bzw. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz bei sonstigen Darlehen. Bei Pkw-Finanzierungen kann der Darlehensnehmer das Fahrzeug zurückgeben. Wenn mit dem Darlehensvertrag weitere Verträge, wie zum Beispiel eine Restschuldversicherung, verbunden waren, werden diese ebenfalls rückabgewickelt.

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